
Zu alt, zu klein, zu spät dran? Willkommen im harten Reality-Check des Spitzensports. Dies hier ist keine Heldengeschichte. Sondern die ehrliche Suche nach dem, was hinter Medaillen steckt. Beim EYOF in Skopje treffe ich 148 junge Athlet*innen – und drei Trainer*innen, die wissen, worauf es wirklich ankommt.
Schlechte Nachrichten für alle Leser*innen über 15: Wenn ihr noch nicht mit dem Leistungssport angefangen habt, lasst es bleiben, das wird nichts mehr.
„Quereinsteiger, die mit 15 reinkommen, hat der Sport eher wenige. Also gar nicht wirklich. Das würde ich fast ausschließen“, stellt Klaus Pohlen, Bundestrainer Kanu-Slalom, ernüchternd fest.
Und auch Jolyn Beer, Trainerin der Sportschützen, und Norbert Opitz, langjähriger Basketballcoach, sehen das ähnlich.
Die drei Trainer*innen haben sich mit mir hingesetzt auf meiner Suche nach Deutschlands nächstem, großen Sporttalent. Gesucht wird dafür beim European Youth Olympic Festival (EYOF) in Skopje. Hier ist das Team Deutschland mit 148 Athlet*innen aus dem Nachwuchsleistungssport vertreten und misst sich eine Woche lang mit den besten Talenten Europas. Wer mehr zum Hintergrund meiner Suche wissen möchte, liest am besten nochmal kurz hier nach: Was braucht es, um Olympiasieger*in zu werden?
Und damit zurück zum Thema und zur Frage „Was muss man mitbringen, um es als Nachwuchsathlet*in auf die große Bühne des Profisports zu schaffen?“
Diesem vermeintlichen Mysterium gehe ich nach und spreche dabei zuallererst mit drei Bundestrainer*innen hier in Skopje. Klaus, Jolyn und Norbert haben sich viel Zeit genommen und sind sehr auskunftsfreudig, das Thema scheint auch sie umzutreiben.
Wenn ich die Quintessenz dessen herausarbeiten müsste, was sie mir mitgegeben haben, dann wäre die kurze Antwort wohl die: Es braucht Commitment und davon nicht zu wenig. Am besten 110 %. Keine 100 und schon gar nicht 90. Es braucht Aufopferung, Disziplin und den absoluten Willen, es schaffen zu wollen.
Haben wir damit also das Rätsel schon gelöst? Wir suchen einfach die Sportlerin oder den Sportler, die den größten Antrieb haben und das sind unsere Olympiasieger von morgen?
Schön wärs.
Der lange Atem
Wer es wirklich bis in die Weltspitze schaffen möchte, der braucht ein Durchhaltevermögen, das wohl nur wenige Menschen besitzen. Und das bereits in einem jungen Alter, in dem die meisten von uns wohl ganz andere Dinge im Kopf hatten als Sport und Training jeden Tag, manchmal auch mehrmals pro Tag und Wettkämpfe am Wochenende statt Feiern mit Freunden und Reisen zu Events statt in den Urlaub.
Das scheint besonders für eine Sportart wie Schießen zu gelten, in der Athlet*innen ihren Leistungspeak auch Mal erst mit Mitte 30 erreichen können. Aber anfangen muss man die Sportart bitte trotzdem schon im Jugendalter, sonst fehlen die Grundlagen. Und immerzu dranbleiben, nicht aufhören. Aber ob man den Durchbruch dann mit Mitte 20 oder 30 oder noch später schafft…das kann einem keiner so richtig sagen. Irgendwie frustrierend das Alles.
„Die Besten von den Guten unterscheidet am Ende die Leidenschaft und das Durchhaltevermögen, es durchzuziehen“, sagt Jolyn Beer. Na gut, sie muss es wissen. Die zweimalige Olympiateilnehmerin und wie ihr damaliger Trainer sagte, „beste deutsche Kleinkaliber-Schützin aller Zeiten“, ist nach ihren letzten Olympischen Spielen in Paris im vergangenen Sommer jetzt selbst als Trainerin tätig.
Jolyn sagt, sie würde sogar so weit gehen, im Nachwuchs einen ergebnistechnisch schlechteren Schützen, der ein hohes Maß an Motivation zeigt, einem Schützen vorzuziehen, der alles absahnt, aber dem man anmerkt, dass er nicht voll bei der Sache ist. Und „die Leute, die am Ende diese absolute Siegermentalität mitbringen, das kristallisiert sich schon relativ früh heraus“, ist Jolyn überzeugt.
Die Körperfinalhöhe
Norbert Opitz, seit 20 Jahren Trainer im Nachwuchssport bei ALBA Berlin und beim EYOF für die 3x3 Basketballer verantwortlich, wirft mir gleich drei Fragen zurück auf den Tisch: „Wie sehr kann ich wirklich Verzicht leben? Wer kümmert sich um ausreichend Schlaf, um seinem Körper die bestmögliche Entscheidung zu geben? Wer kann jedes Training reinhauen und sich nicht nur verstecken?“
Das hört sich doch schon wieder verdächtig nach Durchhaltevermögen an.
Warum tut sich das irgendjemand, warum tun sich die jungen Athlet*innen das alles nochmal an? Natürlich! Der Spaß. Die Liebe zum Sport. Und tatsächlich ist Norbert davon überzeugt, dass es ohne Spaß nicht geht: „Das Gehirn lernt mit Spaß und Bewegung am besten. Wenn es dir grundsätzlich keinen Spaß macht, dann glaube ich nicht, dass da besondere Leistung entsteht.“
Okay, so langsam fügt sich ein Puzzle zusammen. Es braucht Einsatz, Durchhaltevermögen und Spaß, um erfolgreich zu werden.
Moment, leichter Abstrich von Norbert: „Nicht an jedem einzelnen Tag, in jeder einzelnen Trainingseinheit, in jeder einzelnen Übung muss es immer Spaß machen. Es wird Tage geben, wo es einfach keinen Spaß macht.“
Na gut.
Gleiche Frage an Jolyn, um mich zu vergewissern: „Definitiv kann man auch ohne Spaß gut sein.“
Nein! Jolyn. Das war doch anders gedacht.
Moment, auch hier folgt eine Differenzierung: „Man darf die Leidenschaft nicht verlieren. Warum man das macht, warum man mal angefangen hat, darauf muss man sich immer wieder besinnen, wenn es mal schwer wird.“
Etwas Versöhnung. Also, Spaß und Leidenschaft grundsätzlich ja, aber auch nicht immer und wenn man ein festes Ziel energisch verfolgt, geht es auch eine Weile ohne. Haken wir das Thema erstmal ab.
Wenn Einsatz, Durchhaltevermögen und Spaß wirklich alles wären, dann müsste es doch viel mehr Nachwuchs geben, der es in den Profisport schafft. Die Rechnung geht noch nicht auf.
Dass es da noch andere Faktoren gibt, das wird besonders bei einer Sportart wie Basketball sehr deutlich. „Du kannst dir jetzt drei Jahre lang vornehmen, dass du groß werden willst. Das wird nicht passieren. Das ist halt irgendwie gemein und traurig“, stellt Norbert fest und hat damit völlig recht.
Denn es gibt nun mal Sportarten, in denen wird man es trotz Einsatz und hartem Training nicht schaffen, zu den Besten zu gehören, egal, wie sehr man sich reinhängt: „Mit 1,80 m wird es einfach superschwer sein. Wenn sich abzeichnet, da wird wirklich jemand 2,05 m groß, dann hat der automatisch beste Chance“, fügt Norbert hinzu. „Du brauchst eine Perspektive, wie man auf Deutsch so schön sagt, Körperfinalhöhe.“
Was für ein herrliches Wort. Körperfinalhöhe.
Da zeigt sich dann doch, dass Leistungssport auch einfach an ganz harten Faktoren gemessen wird. Entweder du erfüllst diese Faktoren oder du riskierst, irgendwann rauszufliegen.
Das bestätigt auch Bundestrainer Klaus Pohlen vom Kanu-Slalom. Er leitet drei Mal pro Jahr jeweils im Winter eine zentrale Leistungsdiagnostik. Eine Kombination aus Kraft- und Ausdauertests, bei der Werte entstehen, die am Ende in einer riesigen Datenbank eingetragen und vergleichen werden können.
„Das sind so 20 Faktoren, die wir prüfen und analysieren“, sagt Klaus. „Und da wird dann auch geguckt, ob sich eine Verbesserung ergibt oder nicht. Wir wissen ganz genau, was die Leute können.“
Und dann sagt er noch einen Satz, der mich aufhorchen lässt: „Wir wissen vor allen Dingen, was ein Olympiasieger mit 16, 17, 18 schon konnte.“
Aha! Also nimmt man einfach diese Werte, vergleicht sie mit denen des heutigen Nachwuchses, schmeißt eine gesunde Priese Commitment hinzu und dann: Nächster Olympiasieger?
Natürlich nicht.
„Weil der Faktor Technik bei uns schon extrem ist“, erklärt Klaus. „Dieses Gefühl, das Wasser für sich arbeiten zu lassen. Du musst im Wettkampf einen schmalen Grat zwischen Risiko und Kontrolle gehen. Das können welche sehr, sehr gut. Aber man kann es nur bedingt lernen.“
Das wird irgendwie immer alles komplizierter. Gibt es denn gar nichts, worauf man sich so richtig einigen kann?
Ein Leistungssport ohne Familie. Undenkbar.
Doch, da gibt es etwas. Alle drei Bundestrainer*innen habe ich gefragt, wie wichtig für ein junges Nachwuchstalent das persönliche Umfeld ist. Kann ich erfolgreich werden, wenn ich auf mich allein gestellt bin? Wenn ich keine Familie habe, die das mit mir durchmacht, die mich zum Training und zu Wettkämpfen fährt, die mein Equipment finanziert, die mich auffängt, wenn es Mal schlecht läuft?
Klare Antwort von Klaus auf diese Frage: „Ohne Unterstützung von Familie geht es gar nicht.“
Damit findet er Zustimmung bei Norbert: „Das ist mindestens genauso wichtig wie die anderen Sachen alle auch. Alle, die es bei uns geschafft haben, kommen aus einem sehr soliden, wertebasierten Elternhaus. Wo die Eltern das mit unterstützt haben, aber am Ende auch gesagt haben, Hauptsache du bist gesund und hast Spaß und Erfolg.“
Das scheint mir etwas zu sein, was von außen oft unterschätzt wird. Weil es schwierig zu sehen ist. Wir kennen das Privatleben von Nachwuchssportler*innen nicht – das ist auch richtig so, aber es hat doch einen großen Einfluss auf ihre Leistung und darauf, wie lange sie bei der Sache bleiben können.
Wenn der Support aus dem persönlichen Umfeld also mindestens genauso wichtig ist wie Einsatz, wie Spaß, wie Technik und Ausdauer, warum erfährt man dann so wenig darüber? Natürlich, in erster Linie geht es um die Athlet*innen und ihre Leistungen. Die stehen im Vordergrund und erwecken Interesse. Aber wenn ich wissen möchte, wo ein Nachwuchsleistungssportler herkommt, was ihn ausmacht und wie sein Umfeld tickt, dann muss ich doch mit denen sprechen, die das am besten wissen: Mit den Eltern.
Und zwar mit denen, bei denen deutlich wird, dass sie zu 100 % hinter ihrem Kind stehen. Zum Beispiel solchen, die auf ihren Sommerurlaub verzichten, um ins 1.800 km von Deutschland entfernte Skopje zu reisen, um ihre Tochter oder ihren Sohn hier beim EYOF zu unterstützen. Ja, diese Eltern gibt es. Sie sitzen in den Schwimm- und Judohallen, beim Volleyball und beim Handball. Und mit ihnen möchte ich sprechen. Ihre Geschichte hören, ihre Perspektive einbinden.
Teil 3 der Serie erscheint am Donnerstag – bleibt dran!
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Wenn ihr wissen möchtet, was sportlich beim EYOF in Skopje passiert, schaut auf den Team D Kanälen vorbei, am besten hier auf Instagram.
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