
Für Nachwuchsathlet*innen beginnt der Weg in die Weltspitze nicht auf dem Spielfeld, sondern zu Hause: mit Eltern, die anfeuern, verzichten, begleiten. Eine Reise zu den echten Held*innen am Spielfeldrand – und zu der Frage, warum Talent allein nie reicht.
Wahrscheinlich hätte ich es wissen müssen.
Natürlich sind die Eltern, die den Weg nach Nordmazedonien zum European Youth Olympic Festival (EYOF) auf sich genommen haben, um ihren Nachwuchs zu unterstützen, genau diejenigen, die geradezu klischeehaft in das Bild der perfekten „Sport-Eltern“ passen.
Die, die bei jedem Wettkampf an der Seitenlinie stehen. Die für ihre Kinder da sind, wenn sie in schweren Moment gebraucht werden. Die ihr eigenes Leben um das ihrer Kinder herum organisieren, um ihnen den Traum vom Sport zu ermöglichen.
Und die das auch noch gerne machen!
Eine Erkenntnis aus meinen Gesprächen mit Bundestrainer*innen auf der Suche nach Deutschlands nächstem, großen Sporttalent war, wie wichtig das persönliche Umfeld eines Athleten ist. Der Support der Familie.
Also bin ich losgezogen und habe mit den Eltern unserer Team D Nachwuchssportler*innen gesprochen. Ich wollte wissen, wie ihre Sicht auf den Leistungssport ist. Wie sie ihren eigenen Nachwuchs sehen und woran sie erkannt haben, dass ihre Tochter oder ihr Sohn besser ist als andere.
So viel vorab: Wenn eine Antwort auf die Frage „Woran erkennt man ein Toptalent?“ lautet „An den Eltern“, dann müssten Romy Klein (16 / Handball), Jannis Kube ( 13 / Schwimmen), Zoe Albert (16 / Volleyball), Luca Mevius (18 / 3x3 Basketball) und Hannah Glauner (16 / Judo) eigentlich allesamt Olympiasieger*innen werden.
Was diese fünf jungen Sportler*innen an Rückhalt aus ihren Familien genießen hat mich wirklich erstaunt und berührt.
Aber von vorne.
Der Mythos des naturgegebenen Talents
Bei Romy Klein war es ein Positionswechsel – vom Rückraum an den Kreis – nach der Beobachtung eines Landestrainers, der ihr Spielverständnis und ihre Körperstatur erkannt hat. Hannah Glauner hat einfach nie aufgehört, zum Training zu gehen. Von Anfang an. Ohne Nachfragen. Ohne Motivation von außen. Bei Luca Mevius war es ein Wohnzimmer in Hallengröße – noch bevor er Laufen konnte, war er jeden Tag in der Sporthalle bei seiner Mutter, die selbst Basketballtrainerin ist. Jannis Kube hat den Weg ins Wasser über das Seepferdchen gefunden und wäre wahrscheinlich bis heute nicht aus dem Becken rausgekommen, wenn man ihm nicht gesagt hätte, dass er auch Mal Pausen machen muss. Zoe Albert hat mit dem Fußball angefangen, bevor sie ihre Liebe zum Volleyball entdeckt hat. Heute steht sie in der Halle und sagt, wenn sie Mal nicht in der Startaufstellung steht, dann trainiert sie einfach so hart, dass sie beim nächsten Mal spielen muss.
Was diese Geschichten eint: Das Talent ist oft da. Aber es zeigt sich nicht in dem einen außergewöhnlichen Moment, nicht in dem einen Spielzug, dem einen Wettkampf. Sondern es zeigt sich an der Haltung der jungen Sportler. Immer und immer wieder. Dann, wenn niemand hinschaut.
Denn „wer Weltmeister werden will, muss wie ein Weltmeister trainieren“, stellt Antje Mevius fest, Mutter von 3x3 Basketball-Olympiasiegerin Elisa und Bruder Luca. „Es ist jeden Tag harte Arbeit und Prioritäten setzen. Mache ich was mit meinen Freunden oder gehe ich in die Halle?“
„Talent kannst du nur ausbauen, wenn du auch Fleiß an den Tag legst, diszipliniert bist und gewisse Sachen priorisieren kannst“, sagt auch Romys Vater Tobias Klein. „Es ist nicht so, dass du einfach irgendwie alles zugeschmissen bekommst.“
Jeder dieser Athleten weiß das. Egal ob er 13 oder 18 ist. Sie haben diese Einstellung verinnerlicht. Es ist ein selbstverständlicher Teil ihres Lebens geworden.
Wenn bei Jannis ein wichtiger Wettkampf ansteht, dann fängt er bis zu zwei Wochen vorher an, seinen Schlafrhythmus anzupassen, sagen seine Eltern Ilonka und Thorsten, damit sein Körper ausgeruht genug ist. Luca hat sich mit 16 Jahren aktiv dazu entschieden, auf Alkohol zu verzichten, weil es seinem Körper nicht gut tut. Abends Mal mit Freunden ausgehen? Für Romy unvorstellbar. Der Sport kommt zuerst.
Leidenschaft statt Pflichtgefühl
„Man musste sie nie antreiben“, sagt Peter Glauner über seine Tochter Hannah. Hannah, die später am Tag eine Silbermedaille im Judo beim EYOF gewinnen wird und damit zu den besten ihres Jahrgangs gehört. Die nach dem verlorenen Finale trotzdem bitter enttäuscht ist. Aber um die man sich keine Sorgen machen muss. Denn Hannah hat die Mentalität, die es braucht, um erfolgreich werden zu können. Wenn sie aus dem Training kommt und, wie Peter es sagt, ganz schön einen draufgekriegt hat von einer Trainingspartnerin, die besser war, dann ist sie nicht enttäuscht, sondern motiviert. Für sie ist das Ansporn, noch härter zu trainieren, an ihren Fehlern zu arbeiten und beim nächsten Mal erst recht zu gewinnen.
Dieses Bild zieht sich durch. Alle Eltern sprechen davon: Der Wille, die Disziplin, der Fleiß. Eigenschaften, die von innen kommen müssen, die man keinem Kind aufdrücken kann. Und schon gar nicht sollte. Die aber am Ende den entscheidenden Unterschied machen zwischen gut und besser.
Als „mentale Stärke und die Konsequenz zu sagen, ich entscheide mich jetzt dafür und verzichte auf viel“, sieht Peter das. „Und wirklich diese Überzeugung von sich selbst zu haben: Ich kann das schaffen und ich bin besser als die anderen.“
Dass die Athlet*innen das mitbringen, bestätigen die Eltern.
„Sie geht jedes Mal die Extrameile“, sagt Tobias über Romy. „Wo andere sagen würden, ach nee, heute nicht schon wieder Krafttraining, macht sie es trotzdem. Mit Fleiß, mit auf die Zähne beißen und den inneren Schweinehund überwinden.“
„Bedingungsloser Ehrgeiz“, bringt Antje es auf den Punkt und sieht das auch in ihrem Sohn.
Dass diese Begeisterung für eine Sportart den Nachwuchs schon früh packen kann, bestätigen die Eltern des 13-jährigen Jannis: „Wir hören nicht einen Tag, wo er sagt, ich habe heute keine Lust aufs Training.“
Sie erzählen mir, dass Jannis gefragt wurde, was nach dem EYOF ansteht. Seine Antwort: Die Vorgabe der Trainer lautet Pause machen, aber eigentlich würde er lieber weiterschwimmen.
Um im Leistungssport erfolgreich sein zu können, scheint es das zu brauchen. Diese Verrücktheit nach dem Sport. Dieses Gefühl, in jedem Moment lieber in der Halle, im Becken, auf dem Court sein zu wollen als irgendwo anders.
Verzicht als Alltag
Und tatsächlich ist man eigentlich immer beim Sport. Ein ständiger Zyklus aus Training, Lehrgängen, Wettkämpfen und Reisen.
Für manche Eltern, wie Antje Mevius, ist das ganz normal, gehört zur DNA der Familie dazu: „Unser Leben, auch als Eltern, hat sich immer an Basketballterminen orientiert.“
Andere, wie Ilonka und Thorsten, mussten sich erst daran gewöhnen, aber verpassen heute keinen Schwimmwettkampf ihres Sohnes mehr.
Geburtstage, Familienfeste, Urlaube? Alles zweitrangig. Die Familie trainiert mit – still und leise ist sie immer dabei.
Als das Reisen zu Turnieren zwischendurch Mal schwieriger wurde aufgrund der Coronapandemie, hat sich die Familie von Hannah kurzerhand ein Wohnmobil gekauft, um trotzdem immer dabei sein zu können.
„Man braucht verrückte und peinliche Eltern“, sagt Michael Albert, Vater von Zoe. „Die, die überall mit hinfahren.“ Das mit dem Fahren meint er wörtlich. Mutter Doreen und er sind die 1.500 km aus Deutschland mit dem Auto gefahren, um hier in Skopje ihre Tochter anfeuern zu können.
Davon kann auch Tobias Klein ein Lied singen: „Unsere Freunde sagen, wir sind verrückt, weil wir zu jedem Turnier fahren. Aber für uns ist es eine Freude zu sehen, wie die Kinder in dieser Leidenschaft, die sie ausüben, aufgehen. Deshalb ist es für uns auch keine Belastung, sondern wir stehen am Spielfeldrand, sind stolz, sind froh und supporten, wo wir nur können.“
Der Wunsch nach Glück, nicht nach Gold
Das spüre ich bei allen Eltern, mit denen ich gesprochen habe.
Kein falscher Ehrgeiz, keine Projektion der eigenen Ambitionen, kein Druck, sondern ein tiefer, ehrlicher Stolz auf ihre Kinder. Eltern, die froh sind, dass ihre Töchter und Söhne mit dem Sport etwas in ihrem Leben gefunden haben, dass sie glücklich macht.
Und obwohl Romy, Jannis, Zoe, Luca und Hannah augenscheinlich das Potential haben, den Sprung in den Profisport zu schaffen, ist es nicht das, was sich ihre Eltern zwangsläufig für sie wünschen.
Viel wichtiger ist ihnen allen: Dass sie gesund bleiben. Dass sie die Ziele erreichen, die sie sich selbst gesteckt haben. Und dass sie den Sport, der ihr Leben so prägt, nie als Bürde empfinden – sondern als das, was er für sie ist: Eine Leidenschaft, die sie wachsen lässt.
Ob daraus eine Olympiateilnahme wird oder etwas ganz anderes – darüber entscheiden viele Faktoren. Aber die Chancen stehen gut, wenn man das richtige Umfeld hat. Und Eltern, die ein bisschen verrückt sind.
Der vierte und letzte Part der Serie erscheint am Wochenende – bleibt dran!