
Beim EYOF entstehen Olympiasieger*innen von morgen. Zwischen frühem Ehrgeiz, harter Arbeit und großen Träumen zeigt sich: Der Weg an die Spitze beginnt lange vor dem ersten Startschuss – und ist alles andere als selbstverständlich. Die Reise nach der Antwort auf die Frage, was Talente ausmacht, nimmt ein Ende.
Mia - Top Scorerin des Turniers
Es ist 22:30 Uhr, draußen ist es dunkel, die Sonne, die die Temperaturen in Skopje tagsüber auf 40 Grad anschwellen lässt, hat sich zurückgezogen. Mia sitzt mir gegenüber in der Lobby vom Best Western Hotel. Hier haben eine Woche lang Deutschlands beste Nachwuchssportler*innen gelebt und sich beim European Youth Olympic Festival (EYOF) mit den sportlichen Talenten des Kontinents gemessen.
Jetzt ist alles vorbei. Die Abschlussfeier liegt hinter uns, alle Medaillen sind verteilt, alle Koffer gepackt, die Erinnerungen in den Köpfen sind noch frisch und ungeordnet. Mia spricht ruhig und bedacht, genau so, wie sie Handball spielt, denke ich.
Dabei müssen die Eindrücke der vergangenen Woche für die 17-jährige überwältigend sein. Vor sechs Stunden hat sie mit der U17 Nationalmannschaft Gold gewonnen. In einem Turnier, in dem keiner sie so richtig auf dem Schirm hatte. Daran hatte Mia Fuchs vom HC Erlangen erheblichen Anteil, auch wenn sie das selbst vermutlich nie so von sich sagen würde. Mit 35 Toren ist sie Top Scorerin des Turniers.
Jolina - zwischen Training, Schule und Training
Morgens, wenn alle anderen noch schlafen, setzt Jolina sich auf ihr Fahrrad und fährt los. Eine Stunde braucht sie bis zur Schule. Nach der Schule schwingt sie sich wieder aufs Rad und fährt zum Judoclub im selben Ort. Danach Heim, wieder eine Stunde Fahrt. Essen, Hausaufgaben, Gassi gehen mit dem Hund. Und dann wieder zum Judotraining. Ein enormes Pensum für eine 15-jährige. Aber Jolina Reinhold macht das gern. Die Leidenschaft für den Sport treibt sie an, sie könnte sich nichts Schöneres vorstellen. Mit Gold im Einzel und Silber mit der Mannschaft fliegt die Nummer 1 der U18-Weltrangliste nach Hause. Nächste Woche steht sie wieder in der Halle und trainiert, immer das nächste Ziel vor Augen.
Andor - Sein Ziel: Die zweite Olympische Medaille in der Familie
Andor verspürt keinen Druck. Nur den, den er sich selbst macht. Wenn ihm jemand sagt, dass er der Sohn eines Olympiasiegers sei, dann lächelt er nur und sagt „Ja, das bin ich“. Aber er weiß, dass er mehr sein möchte als das. Er möchte nicht nur der Sohn von Nils Schumann sein, Olympiasieger über die 800 m bei den Spielen 2000 in Sydney, sondern eines Tages selbst eine olympische Medaille in den Händen halten. Für dieses Ziel arbeitet der 17-jährige Leichtathlet jeden Tag. Beim EYOF hat er sich für seine harte Arbeit mit der Goldmedaille über 800 m belohnt. Dazu Bronze mit der Staffel. Er scheint viel richtig zu machen auf seinem Weg zu den Olympischen Spielen.
Was genau das ist, wollte ich von den drei Nachwuchssportler*innen zum Abschluss des Events wissen. Was machen sie besser als andere? Wie haben sie es hier her zum EYOF in das Team D geschafft und wo möchten sie Mal hin?
Schon früh war da mehr als Spaß
Wo sie herkommen, können alle drei schnell beantworten.
Mia ist mit dem Handball groß geworden. Als Kind war sie in der Halle als ihre großen Geschwister gespielt haben. Sie selbst war kaum vier, als sie das erste Mal einen Ball in die Hand nahm. An ein konkretes „Warum?“ erinnert sie sich heute nicht mehr. Es war einfach immer da.
Ähnlich war es bei Jolina. Auch sie wuchs in einer sportbegeisterten Familie auf. Der Vater war Ringer, der Opa Judoka. Als im Kindergarten ein Flyer für ein Judo-Probetraining verteilt wurde, nahm sie das Angebot an – aus heutiger Sicht ein kleiner Zettel mit großer Wirkung.
Dass daraus bald schon echter Ehrgeiz entstehen würde, war bei Jolina eng mit einem Kindheitsmoment verbunden: Bei Bundesliga-Kämpfen darf der Nachwuchs mit den „Großen“ einlaufen, ähnlich wie im Fußball. Ihr Vater schlug vor, doch Mal den Judoka Sebastian Seidl zu fragen, der war schon bei Olympia. Jolina, damals sechs Jahre alt, konnte damit nicht viel anfangen: „Dann habe ich gesagt: Lass ihn doch fahren, was ist denn Olympia? Und dann hat mein Dad mir erklärt, was Olympia ist. Und dann dachte ich: Krass, das will ich auch. Und so ist dieser Traum entstanden. Seitdem will ich da hin.“
Dieses Ziel hat auch Andor fest im Blick. Dabei hat er erst relativ spät, mit 14, seinen Weg in die Leichtathletik gefunden. Lange spielte er Fußball, bis ein Umzug nach Erfurt und die Aufnahme in eine Sportschule die Weichen neu stellte. Die ersten Tests in der Leichtathletik liefen gut, die ersten Wettkämpfe noch besser. Und so entschied sich Andor: Ich ziehe das jetzt durch.
Der Anfang ist kein Maßstab – das Dranbleiben zählt
Dabei ist der Anfang oft leicht gemacht. Mit einer Sportart anfangen kann jeder. Dranbleiben, auch dann, wenn es mal nicht läuft, das zeichnet gute Nachwuchssportler*innen aus.
Selbst Jolina, die heute zu fast allen Wettkämpfen als Favoritin anreist, als die, die es zu schlagen gilt, erzählt: „Die ersten drei Jahre habe ich noch nicht viel verstanden vom Sport. Wenn man den Weißgelben Gürtel hat, dann darf man auf Turniere fahren. Aber das erste Wettkampf-Jahr habe ich alles verloren.“
Davon hat sie sich nicht abschrecken lassen. Bald hat sie angefangen, die ersten Kämpfe zu gewinnen, hat gemerkt, dass sie gut ist, fuhr zu Turnieren, sammelte Erfahrung – und wurde immer besser.
Beim renommierten Adler Cup in Frankfurt meldete ihr Trainer sie aus Spaß für die U18 an. Jolina war da gerade 13. Die anderen lachten ihren Trainer aus. Jolina lachte auch.
Und dann gewann sie. Gegen alle.
Dieser unbedingte Wille, gewinnen zu wollen, treibt sie an. Sie sagt über sich selbst, dass sie es hasst, zu verlieren. „Man braucht diesen Biss. Man muss sich prügeln können, man muss auch mal was einstecken können. Und man braucht diesen Willen“, sagt Jolina.
Mia erkannte mit zehn Jahren, dass sie sich von anderen abhebt. Doch für sie war früh klar: Talent allein reicht nicht. „Ich glaube ich bin schon talentiert, aber ohne harte Arbeit kann man ab einem bestimmten Punkt nichts mehr erreichen. Harte Arbeit gehört immer dazu.“
Wer sich im Handball durchsetzen will, muss zäh sein, kraftvoll, widerstandsfähig. Und das nicht nur im Spiel, sondern vor allem im Training – auch dann arbeiten, wenn es keinen Spaß macht.
Andor spricht von „Aufbauarbeit“: Dauerläufe, Grundlagenausdauer, Kilometer um Kilometer abspulen. Vieles davon ist monoton. Aber wer auf den 800 Metern bestehen will, braucht genau das. Er weiß, dass gerade diese Basis ihm in den entscheidenden Momenten den nötigen Schub gibt.
„Im Sommer, wenn die Wettkämpfe sind, dann sind alle diszipliniert und alle motiviert“, sagt Andor. „Aber im Winter: Da unterscheidet sich dann Disziplin und Motivation. Und das ist wahrscheinlich auch der entscheidende Unterschied.“
Der entscheidende Unterschied zwischen gut und besser. Wer geht auch dann jeden Tag zum Training, wenn der nächste Wettkampf Wochen entfernt ist. Wer arbeitet an sich, auch wenn es keiner verlangt.
Verzicht? Nein. Worauf denn?
Wenn andere Freunde Pizza essen oder in den Sommerurlaub fahren, dann denken sie an den Sport. Lehnen freundlich ab.
Für mich hört sich das sehr stark nach Verzicht an. Verzicht auf vieles, was zu einem „normalen“ Erwachsenwerden doch eigentlich dazugehören sollte. Mit Freunden treffen, feiern gehen, freie Wochenenden genießen, nicht ständig an die Leistungsfähigkeit des eigenen Körpers denken müssen.
Aber egal, wie oft ich die jungen Athlet*innen danach frage: Von Verzicht möchte niemand sprechen.
Dieses Leben ist ihr „normal“.
Die Antworten erinnern mich stark an die Aussagen der Eltern.
Auch wenn der Alltag manchmal anstrengend ist – sie alle betonen, dass sie diesen Weg freiwillig gehen. Jolina sagt: „Ich kenne es nicht anders und würde auch nicht tauschen wollen.“ Auch Andors Blick auf diese Routine ist sehr positiv: „Das ist gut so, weil ich nicht wüsste, was ich dann mit der Zeit machen sollte, die ich ohne Training hätte.“
Gewinnen braucht mehr als Können
Etliche Gespräche habe ich geführt während meiner Zeit beim EYOF in Skopje. Mit Bundestrainer*innen, Eltern und nun auch mit den Athlet*innen selbst.
Von allen wollte ich wissen, was die besten Sportler*innen anders machen als der Rest. Woran man erkennt, dass jemand Mal richtig gut wird.
Dass ich die Antwort auf diese Frage nicht in einem Satz würde zusammenfassen können, war mir vorher bewusst.
Und doch möchte ich es versuchen. Nicht in einem Satz, aber so knapp wie möglich. Denn wer alle Teile der Serie verfolgt hat, der wird Parallelen erkennen. Zwischen dem, was Trainer*innen, Eltern und Athlet*innen zu sagen hatten.
Meine Theorie geht so.
Am Anfang braucht es Talent. Ich komme neu in eine Sportart und sollte ohne viel Training merken, dass mir der Sport liegt, dass es mir Spaß macht und dass ich besser werden kann als andere.
Talent allein bringt mich aber nur bis zu einem gewissen Punkt.
Dann greift das Durchhaltevermögen. Ich werde nur selten von Anfang an so gut sein, dass ich alles gewinne, immer spiele und ständig dominiere. Verlieren muss gelernt sein und sollte als Ansporn verstanden werden, nicht als Rückschlag. Die Besten ziehen aus Niederlagen ihre Lehren und lassen sich davon motivieren, anstatt aufzugeben.
Ich brauche ein Ziel vor Augen. Etwas, das mich jeden Tag wieder motiviert, meinen Körper herauszufordern, hart mit mir zu sein, besser werden zu wollen. Es braucht Leidenschaft, Disziplin und den absoluten Willen, es schaffen zu wollen. Ganz egal, was „schaffen“ für mich persönlich bedeutet.
Und es braucht das richtige Umfeld. Trainer*innen, die mich fördern, Familie, die mich unterstützt. Freunde, die Verständnis haben für meinen Weg.
Ob alle 148 Athlet*innen im Nachwuchs des Team D beim EYOF diese Voraussetzungen mitbringen, vermag ich nicht zu sagen. Die Statistik zeigt, dass nicht jede*r von ihnen den Sprung in den Profisport schaffen wird.
Wo ich mir jedoch sicher bin: Alle jungen Leistungssportler*innen sind sich bewusst, was es braucht, um diesen Schritt zu machen.
Und sie sind bereit, diesen Weg zu gehen – mit allem, was dazugehört.
Man kann ihnen dabei nur die Daumen drücken. Verdient hätten sie es alle.