World Games

Triumphzüge einer verschworenen Gemeinschaft

Die deutschen Tauzieh-Männer gewinnen nach überragender Vorrunde Bronze bei den World Games in Chengdu und krönen damit eine Entwicklung, die vor Jahren angestoßen wurde und noch längst nicht zu Ende sein soll.

4 Minuten Lesezeit veröffentlicht am 09. August 2025

2:1 gegen Belgien bringt die Bronzemedaille

Wieviel ihnen dieser Moment bedeutete, war zu beobachten, als die deutschen Tauzieh-Männer ihren letzten Zug gemacht hatten. Wie ein Rudel ausgehungerter Wölfe fielen sie jubelnd übereinander her, es flogen Mützen und andere Kleidungsstücke, und wenn nicht nach ihnen noch das Finale angestanden hätte, das Großbritannien gegen die Schweiz 3:0 gewann, hätten sie wahrscheinlich den Rasen im Dog’an Lake Sports Park herausgerissen vor Freude. Mit einem 2:1 über Belgien im kleinen Finale der World Games in Chengdu (China) hatte sich die Mannschaft, bestehend aus Lucas Broghammer, Tobias Ortlieb (beide 32), Patrick Frank (36/alle TZFr Böllen), Philip Klingele (23/TZC Wieden), Martin Wehrle (34/TZC Eschbachtal), Tim Fuß (20), Jakob Schlegel (23/beide TZFr Dietenbach), Markus Resch (36) und Florian Resch (32/beide DT Siegelau) eine Bronzemedaille gesichert, auf die sie vielleicht gehofft hatte, die aber keineswegs erwartet worden war.

Verdient war das Edelmetall dafür umso mehr. Nachdem die Mannschaft, die mit acht Athleten nicht mehr als 640 Kilogramm Gesamtgewicht auf die Waage bringen darf, in der Vorrunde nach Siegen über die Niederlande, Belgien und Taiwan sowie Unentschieden gegen Großbritannien und die Schweiz – pro Partie waren zwei Züge zu absolvieren, erst in der K.-o.-Runde war ein dritter zur Entscheidungsfindung notwendig – ungeschlagen den Gruppensieg geschafft hatte, wurde sie kurzzeitig vom Pech verfolgt. Zunächst bescherte ihnen die Bewertung des direkten Vergleichs in der Abschlusstabelle ein Halbfinalduell mit dem amtierenden Weltmeister Schweiz, der punktgleich mit Belgien nur Vierter geworden war.

Bitteres 1:2 gegen Weltmeister Schweiz im Halbfinale

Und dann mussten die Deutschen auch noch nach Losentscheid den nach einem 1:1 notwendigen Entscheidungszug auf der „schlechteren“, weil deutlich glatteren Seite des Feldes absolvieren, auf der die Spezialschuhe der Sportler – Eishockeystiefel, die statt Kufen mit einer angeschliffenen Metallplatte als Sohle versehen sind – weniger Halt gaben. So blieb nach einer bitteren 1:2-Niederlage gegen die Nachbarn aus der seit Jahren führenden Tauzieh-Nation „nur“ die Chance auf Bronze – und die nutzte die Auswahl des Deutschen Rasenkraft- und Tauziehverbands.

„Nach dieser Vorrunde war das absolut verdient, die Jungs haben sich so reingehängt über die vergangenen Monate, sie haben alles für das Ziel investiert, beim Saisonhöhepunkt eine Medaille zu holen. Ich bin sehr stolz auf das Team und bin mir sicher, dass dieser Erfolg enormen Schub für die kommenden Tage gibt“, sagte Sportdirektor Corsin Wörner mit Blick auf die Wettkämpfe der Frauen (Sonntag) und im Mixed (Montag, jeweils 4 Uhr MEZ), wo je vier Frauen und Männer gemeinsam ziehen. Der Bronze-Coup nimmt auch den Druck vom Mixedteam, das bei den bislang letzten World Games in Birmingham (USA) 2022 Silber geholt hatte, am letzten Wettkampftag für die Medaille sorgen zu müssen, die die höchstmögliche Förderkategorie für den Zyklus bis zu den Heimspielen 2029 in Karlsruhe sichert.

461 Menschen in 25 Vereinen betreiben Tauziehen

Chef-Bundestrainer Thomas Kaltenbach wertete den dritten Platz als Konsequenz einer vor Jahren angestoßenen Entwicklung. „Dass wir uns mit allen drei Teams für Chengdu qualifiziert haben, war schon super, aber diese Medaille ist eine Genugtuung“, sagte er. Nachwuchs ist nicht leicht zu generieren, nur 461 Menschen betreiben in 25 Vereinen aktiv den Sport, der von 1900 bis 1920 zum olympischen Programm zählte. In Deutschland konzentriert sich das Geschehen auf drei Bundesländer: Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Es gibt zwar deutsche Meisterschaften und auch eine Liga, an der acht Vereine teilnehmen. Dennoch ist Tauziehen hierzulande absoluter Nischensport. Umso wichtiger sind Erfolge bei den World Games, dem Schaufensterevent der nicht-olympischen Sportarten.

Wer „Tug of War“, wie der Sport auf Englisch heißt, live erlebt, kann insbesondere auf hartem Boden wie in Chengdu actiongeladene, meist nur wenige Minuten dauernde Züge sehen mit Athleten, bei deren Anblick man sich ernsthaft fragt, warum „in den Seilen hängen“ im deutschen Sprachgebrauch mit Schwäche verbunden wird. Auch die Zuschauer hatten Spaß, vor allem Taiwan wurde, den politischen Spannungen mit dem Gastgeberland zum Trotz, kräftig angefeuert. Aber auch die deutsche Mannschaft hatte durchaus die Sympathien der chinesischen Fans auf ihre Seite gezogen.

Zusammenhalt ist das Erfolgsgeheimnis des Teams

Florian Resch war, als er sich aus der Jubeltraube des Teams gelöst hatte, vollkommen ergriffen vom Erlebten. Der 32-Jährige ist seit der Vorbereitung auf die Heim-WM 2024 in Mannheim, die auf Rang vier abgeschlossen wurde, Trainer der Mannschaft, aber auch weiterhin als Athlet aktiv. Weil der ursprünglich vorgesehene Ankermann aus privaten Gründen für die World Games absagen musste, begann er zu Jahresbeginn mit der Vorbereitung auf die Position des letzten Mannes in der Seilkette, nahm zehn Kilogramm ab und trank seitdem keinen Alkohol mehr – bis zum Samstag. „Heute feiern wir richtig“, sagte der Vater eines sieben Monate alten Sohnes, „diese Medaille bedeutet uns wahnsinnig viel, auch weil sie uns die wenigsten zugetraut haben.“

Das Erfolgsgeheimnis der Mannschaft sei der Zusammenhalt. „Wir haben eine richtig gute Mischung von Spielern aus verschiedenen Vereinen, die zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengewachsen sind, in der sich jeder für jeden voll reinhaut. Wir sind wirklich beste Freunde und haben in den vergangenen Monaten wahnsinnig viel investiert, um hier eine Medaille zu gewinnen.“ Ein besonderes Dankeschön richtete Florian Resch an Stefan Heimann. Der Bundestrainer Nachwuchs hatte, weil Florian als Ankermann gefordert war, die Betreuung des Teams übernommen. „Für uns alle war es das Ziel, eine Medaille zu gewinnen. Dass wir es erreicht haben, kann man nicht hoch genug bewerten. Das war Tauziehen auf allerhöchstem Niveau!“ Dass sie dieses auch beim Feiern erreichen werden, daran gab es nach den emotionalen Jubelszenen auf dem Rasen keinen Zweifel.

Jakob Schlegel & Corsin Wörner im Interview