
Irreguläre Bedingungen sorgen für diverse Ausfälle, viele Athlet*innen kollabieren bei großer Hitze und extremer Luftfeuchtigkeit. Aber Hanna Müller und Birte Friedrichs überzeugen mit Top-Ten-Platzierungen.
Wetterbedingungen waren mehr als grenzwertig
In mehr als 40 Jahren, die sie ihrem Sport in unterschiedlichsten Positionen treu ist, hat Anne-Katrin Klar sehr viel mitgemacht. Doch am Freitagmittag, als reihenweise Athlet*innen und Athleten per Rollstuhl oder sogar auf einer Trage in den Medizinbereich in der Eastern New Area geschoben werden mussten, hatte auch die Teammanagerin der deutschen Orientierungsläufer kaum noch Worte für das, was sich am ersten Tag der World Games in Chengdu (China) im Wettkampf über die Mitteldistanz abspielte. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagte sie kopfschüttelnd, während im Zielbereich vollkommen verschwitzte und verdreckte Sportler*innen, die nicht auf ärztliche Hilfe angewiesen waren, apathisch auf dem Steinboden kauerten und versuchten, wieder einigermaßen zu Kräften zu kommen.
Man muss es so deutlich sagen: Dass bei Temperaturen von 35 Grad im selten vorhandenen Schatten und einer Luftfeuchtigkeit, die der im Dampfbad eines türkischen Hamam in nichts nachstand, um die Mittagszeit Menschen Leistungssport betreiben mussten, war mehr als grenzwertig. Genauso fragwürdig war, dass die Organisatoren zunächst überhaupt nicht darauf eingestellt waren, dass die Wetterbedingungen für die Kreisläufe europäischer, aber sogar auch afrikanischer, australischer oder südamerikanischer Körper kontraproduktiv sein würden. Als im Ziel die ersten Männer kollabierten, war zunächst kaum Kühlung und schon gar kein Notfall-Transport vorhanden. Hektisch wurden Eistonnen, ein Rollstuhl und Planen herbeigeschafft, um die Leidenden vor den Blicken der Zuschauer*innen zu schützen. Aber was man den Gastgebern lassen muss: Sie lernen extrem schnell und haben einfach so viel Personal, dass die Missstände rasch behoben waren – von der brennenden Sonne einmal abgesehen, aber die können selbst die Chinesen (noch) nicht beeinflussen.
Zwölf Männer und fünf Frauen mussten aufgeben
Beim Orientierungslauf bekommen die Athlet*innen eine ausgedruckte Streckenkarte, nach der sie im Gelände Wegpunkte ablaufen müssen. Hilfsmittel wie Mobiltelefone gibt es nicht, per GPS-Tracker können die Teilnehmer*innen aber auf der Strecke ausgemacht werden. Im chinesischen Hinterland ging es über Maisfelder, durch Zitronenplantagen und durch dichte Wälder – auch das ungewohnt für die meisten. Aus dem 40er-Feld der Männer mussten zwölf aufgeben. Einer davon war Anselm Reichenbach (21/NTNUI), der das Rennen wegen schwerer Schwindelattacken abbrechen musste.
„Es waren die brutalsten Minuten, die ich im Leben hatte. Bei solchen Temperaturen war ich noch nie laufen. Erst wurde mir total schwindelig, dann hat der ganze Körper gekribbelt. Ich musste mich vor ein Haus eines Chinesen setzen, der mir Wasser gebracht hat. Dann bin ich ins Ziel gewandert“, sagte er. Dabei gilt der Youngster laut Anne-Katrin Klar als „Durchbeißer, der immer alles gibt.“ Als Gewinner durfte er sich dennoch fühlen, denn hätte er nicht aufgegeben, wären seine Chancen auf ein erfolgreiches Sprintrennen am Sonntag (4.20 Uhr MEZ) deutlich geschwunden – und Sprint ist seine Spezialität. „Ich glaube, dass ich im richtigen Moment aufgehört habe. Im Sprint dürfte uns allen entgegenkommen, dass es nicht so lang dauert und wir uns auch noch besser auf die Hitze einstellen werden.“
Frauen überzeugen mit zwei Top-Ten-Platzierungen
Das hofft auch Bojan Blumenstein. Der 32-Jährige vom OSC Kassel kam beim Sieg des Schweizers Riccardo Rancan (45:22 Minuten) in einer Zeit von 56:13 Minuten über die rund sechs Kilometer auf Rang elf und zeigte sich anschließend ebenfalls schockiert über die Bedingungen. „Es war einfach nur brutal. Wir waren auf Hitze eingestellt, aber das hier was etwas ganz anderes. Heute hätte man eine perfekte Studie darüber machen können, wie Hitze auf die Gehirnfunktion einwirkt“, sagte er. Nach zwei Dritteln des Laufes hätten Dinge, die ein Zehnjähriger im Normalzustand spielerisch bewältige, nicht mehr funktioniert. „Ich konnte die Karte nicht mehr lesen, wusste nicht mehr, ob ich bei Station 13 oder 14 war. So etwas habe ich noch nie erlebt.“
Umso beeindruckender war, dass die beiden deutschen Starterinnen auf der rund einen Kilometer kürzeren Frauenstrecke den Bedingungen trotzen konnten. Beim Sieg der Schweizerin Simona Aebersold (40:08 Minuten) erreichten Hanna Müller (29/Gundelfinger TS/+9:29) auf Rang sieben und Birte Friedrichs (27/MTV Seesen/+11:34) als Zehnte Top-Ten-Platzierungen im 40er-Feld, aus dem fünf Läuferinnen aufgaben. Vor allem die in der Schweiz aufgewachsene und noch immer lebende Müller, die gerade ihr Elektrotechnik-Studium abgeschlossen hat, wirkte im Zielbereich schnell wieder halbwegs frisch. „In der Sonne war es schlimm, aber es war ja für alle gleich. Ich habe auch Fehler gemacht, aber keine riesigen, und konnte so den Zeitverlust klein halten. Das war der Schlüssel“, sagte sie.
Lerneffekt für den Sprint: Bessere Kühlung ist notwendig
Auch Birte Friedrichs war mit ihrem Abschneiden durchaus zufrieden. „Bei den World Games 2022 in Birmingham war ich 14., in diese Region wollte ich wieder kommen, und das habe ich geschafft“, sagte sie. Mit Blick auf den Sprint am Sonntag (3.30 Uhr MEZ) und die Mixedstaffel am Montag (4.10 Uhr), die alle vier Deutschen absolvieren, wollen sie das Hitzemanagement optimieren. „Vor dem Start gut herunterkühlen, immer wieder abkühlen und vielleicht einen Sonnenhut aufsetzen, unter dem man eine Eispackung tragen kann, das könnten Dinge sein, die helfen“, sagte Hanna Müller. Und fügte noch einen Satz an, den man nach den Erlebnissen des Freitags kaum glauben konnte: „Ich freue mich darauf!“