WM

„Das Viertelfinale sollte für uns ein Muss sein“

Jenny BEHREND (GER, 30) jubelt nach einem Tor gemeinsam mit Alina GRIJSEELS (GER, 4, mi.) und Antje DOELL (DÖLL) (GER, 29, re.), Jubel, Freude, Lachen; Handball Frauen Deutschland (GER) vs Slovenien (SLO), Endstand 41-22, Vorrunde Gruppe A, Spiel 13, am 30.07.2024, Olympische Spiele Paris 2024 / Frankreich; XCUT: & Co. Pressefoto KG # Fotograf Volker Essler # Prinzess-Luise-Str. 41 # 45479 M u e l h e i m / R u h r # Tel. 0208/9413250 # Fax. 0208/9413260 # GLS Bank # BLZ 430 609 67 # Kto. 4030 025 100 # IBAN DE75 4306 0967 4030 0251 00 # BIC GENODEM1GLS # www.svensimon.net.

Vor der Heim-WM, die an diesem Mittwoch gegen Island beginnt, sprechen die Handball-Nationalspielerinnen Antje Döll und Nieke Kühne über ihre Rollen im Team, die Entwicklung ihrer Sportart und die deutsche Olympiabewerbung.

6 Minuten Lesezeit veröffentlicht am 24. November 2025

Döll und Kühne über Erwartungen, Heimvorteil und den Druck vor dem WM-Start

Wenn an diesem Mittwoch (18 Uhr) in der Porsche-Arena in Stuttgart das erste WM-Vorrundenspiel der deutschen Handballfrauen gegen Island angeworfen wird, stehen Antje Döll und Nieke Kühne im Blickpunkt. Linksaußen Döll (37) von der Sport-Union Neckarsulm führt die Auswahl von Bundestrainer Markus Gaugisch als Kapitänin an. Rückraumspielerin Kühne (21) von der HSG Blomberg-Lippe ist die jüngste Spielerin im Aufgebot. In acht Vorrundengruppen treten jeweils vier Teams gegeneinander an, nach Island warten noch Uruguay (28. November, 18 Uhr) und Serbien (30. November, 18 Uhr) auf das DHB-Team. Die besten drei Teams jeder Gruppe erreichen die Hauptrunde mit vier Sechsergruppen, die für Deutschland in Dortmund stattfände. Weiterer Spielort in Deutschland ist Trier, beim Co-Gastgeber Niederlande wird in Rotterdam und s’Hertogenbosch gespielt. Die jeweils besten zwei der vier Hauptrundengruppen stehen im Viertelfinale. Warum dessen Erreichen ein Muss ist und was sie sich vom Heimvorteil erhoffen, erläutern die beiden im Gespräch mit dem DOSB. 

DOSB: Nieke, du stehst vor deinem ersten internationalen Großevent für den A-Kader. Was ist in dir vorgegangen, als du vom Bundestrainer Markus Gaugisch nominiert wurdest?

Nieke Kühne: Es war wie im Film. Ich war zu Hause in Seesen und habe mit meiner Mutter darüber gesprochen, ob Markus mich wohl anrufen würde. Dann klingelte das Telefon, er war dran und wollte erst einmal mit mir über mein letztes Spiel sprechen. Ich war so aufgeregt und habe gesagt: Komm bitte zum Punkt! (lacht) Dann hat er mir mitgeteilt, dass ich zur WM eingeladen bin. Es war vorher nicht klar, dass es eine positive Nachricht werden würde, es hätte auch eine Absage sein können. Insofern war ich sehr glücklich. Mama und ich haben dann erst einmal etwas Schönes gegessen. 

Antje, für dich ist es nach 2017 die zweite Heim-WM, du warst im vergangenen Jahr auch bei den Olympischen Spielen in Paris im Kader. Welchen Stellenwert hat das bevorstehende Turnier für dich?

Antje Döll: Eine Heim-WM ist das Nonplusultra. Von der Größe des Events ist Olympia zwar noch einmal ein anderes Thema als eine WM. Aber so ein Turnier im eigenen Land erleben zu können, das muss man auch genießen. Für mich persönlich wird es ein Meilenstein, weil ich die Mannschaft als Kapitänin aufs Feld führen darf. 

Du bist erst im Alter von 28 Jahren ins Nationalteam gekommen, die Heim-WM 2017 war damals auch für dich dein erstes großes Turnier. Was rätst du einer jungen Spielerin wie Nieke, die das nun schon als 21-Jährige erleben darf?

Antje: Dass sie jede Minute, die sie auf dem Feld steht, ebenso genießen soll. Genauso  das ganze Drumherum. Ich bin spät in die Erste Bundesliga gekommen und hatte deshalb mein Debüt in der A-Nationalmannschaft entsprechend spät. Bei der WM 2017 war ich für meine damaligen Positionen am Kreis und auf Linksaußen als Drittbesetzung dabei. Nieke wird eine wichtigere Rolle bei uns einnehmen, wir wissen, was sie kann. Für mich war klar, dass Markus sie nominieren wird. 

Nieke, welche Rolle traust du dir selbst denn zu, und was sind die wichtigsten Qualitäten, die Antje ins Team einbringt?

Nieke: Ich möchte mir meine Unbekümmertheit bewahren und manche Gegnerinnen, die mich noch nicht so kennen, überraschen. Ich möchte mit meiner Schnelligkeit helfen und werde in jeder Minute Spielzeit, die ich bekomme, 100 Prozent geben. Wenn ich meine Chance kriege, gebe ich alles, egal auf welcher Position. Ich bin eine emotionale Spielerin, möchte aber noch mehr aus mir herauskommen. Zu Antje kann ich sagen, dass sie für mich als junge Spielerin eine großartige Hilfe ist, weil sie mit ihrer Erfahrung und Ruhe auf mich einwirkt. Sie ist einfach super wichtig, für mich und für das gesamte Team. 

Antje, worin siehst du deine wichtigste Aufgabe, und welche Qualität schätzt du an Nieke besonders?

Antje: Nieke ist als Gegenspielerin vorne und hinten extrem unangenehm. Ich empfinde es nicht als normal, dass sie in ihrem Alter schon so selbstverständlich auftritt. Was meine Rolle angeht, möchte ich dem Team Ruhe und Gelassenheit vermitteln. Spaß und Lockerheit sind wichtiger, als verbissen und zu angespannt in die Spiele zu gehen. Meine Aufgabe besteht auch darin, zu spüren, wann die Mannschaft eine Streicheleinheit braucht und wann einen Tritt in den Hintern. 

Empfindet ihr eine Heim-WM uneingeschränkt als Vorteil, oder seht ihr auch darin eine Gefahr, dass der gesteigerte Druck, vor eigenem Publikum überzeugen zu wollen, ein Hemmnis sein kann?

Antje: Je näher der WM-Start rückt, desto mehr wird der Druck ein Thema werden. Ich  glaube aber, dass unser Team ihn positiv nutzen wird. Eine Vorrunde in der ausverkauften Porsche-Arena in Stuttgart wird uns sehr viel geben. 

Nieke: Natürlich spüre ich, dass eine Heim-WM etwas ganz Besonderes ist. Die mediale Aufmerksamkeit ist viel höher, es werden viel mehr deutsche Fans in den Hallen sein. Aber ich freue mich einfach darauf, mit vielen Menschen, die hinter uns stehen, die Spiele zu erleben und hoffentlich viele Siege zu feiern. 

Werdet ihr euch bewusst von Medien und Fans abschotten, um den Fokus komplett auf den Sport legen zu können?

Antje: Nein, es wird genug Gelegenheiten geben, mit uns in Kontakt zu kommen. Abschotten ist kein Thema. Wir zeigen tollen Sport und wollen es genießen, dass wir das vor heimischem Publikum tun können. Es wird uns aber zum Beispiel in der Vorrunde helfen, dass wir in unserem Hotel in Ludwigsburg der einzige WM-Teilnehmer sind. Da können wir auch den Fokus auf uns halten.  

Wenn du die aktuelle Situation im Frauenhandball vergleichst mit der vor der WM 2017: Was sind die wichtigsten Entwicklungen, sowohl sportlich als auch infrastrukturell?

Antje: Wenn ich sehe, was das Team hinter dem Team in der Vorbereitung auf diese WM angeschoben hat, auch mit unserer „Hands up for more“-Kampagne, bin ich absolut begeistert. 2017 hatten wir die Vorrunde in Leipzig, da hat man kaum mal ein Plakat gesehen. Heute kommt niemand an der WM vorbei. Die medizinische und psychologische Betreuung ist heute auf einem anderen Level, das habe ich damals nicht so intensiv wahrgenommen. Sportlich spielen wir heute einen ganz anderen Stil. 2017 war unser  Tempospiel nicht so ausgeprägt, außerdem haben wir jetzt eine viel flexiblere, intensivere Defensive. Die Entwicklung der Spielerinnen ist enorm, wir haben viele, die mit ihren Clubs regelmäßig international gefordert sind. 

Das bedeutet, wir dürfen in diesem Jahr mehr erwarten als das Ausscheiden im Achtelfinale 2017?

Nieke: In unserer Gruppe sind wir bei allem Respekt vor Island, Serbien und Uruguay Favorit. Diese Rolle müssen und wollen wir annehmen. Unser Ziel ist es, als Gruppensieger zur Hauptrunde nach Dortmund zu fahren, um dort eine gute Ausgangsposition zu haben, das Viertelfinale zu erreichen. Und wenn wir dann in der ausverkauften Westfalenhalle mit mehr als 10.000 Fans im Rücken zum Viertelfinale antreten, dann haben wir eine gute Chance, den entscheidenden Schritt unter die besten vier Nationen der Welt zu machen. Das Eröffnungsspiel gegen Island ist extrem wichtig. Nicht nur für mich persönlich, weil es gegen drei meiner Teamkolleginnen von der HSG Blomberg-Lippe geht. Da wollen wir ein Feuerwerk abbrennen und ein Zeichen für das Turnier setzen. 

Antje: Das sehe ich wie Nieke. Das Viertelfinale ist absolut drin und sollte für uns ein Muss sein. Und dann wollen wir natürlich auch das Finalwochenende erreichen. 

Dieses findet beim Co-Gastgeber Niederlande in Rotterdam statt. Wäre das ein Stimmungskiller, wenn man den Höhepunkt der Heim-WM im Ausland erleben müsste?

Antje: Gar nicht! Wenn wir unter den Top vier sind, ist es egal, wo das auf der Welt  stattfindet. Diesen Schritt haben wir bei den vielen Turnieren zuvor nicht geschafft. Dann ginge es um eine Medaille, und da würden wir auch in einer Scheune auf irgendeinem Bauernhof antreten. 

Die WM läuft breit medial, aber ARD/ZDF würden erst ab dem Viertelfinale live senden, anders als bei der Frauenfußball-EM. Ärgert euch das?

Nieke: Es wäre sicherlich schön und einer Heim-WM auch angemessen gewesen, wenn alle unsere Spiele live bei ARD und ZDF zu sehen wären. Aber es ist eine gute Lösung gefunden worden. Alle Fans, die unsere Spiele sehen wollen, werden eine Möglichkeit dazu bekommen. Wir vergleichen uns nicht mit dem Fußball, sondern eher mit unseren Männern. Dass der Männerhandball mehr Aufmerksamkeit bekommt, ist ein Fakt und angesichts seiner Erfolge auch verständlich. Aber wir sind auf einem sehr guten Weg. Was uns besonders freut: Dass aus dem Männerbereich vermehrt Stimmen kommen, die uns unterstützen. Die freuen sich für uns und sie können auch nichts dafür, dass die Situation so ist, wie sie ist. 

Euer Verband tut sehr viel dafür, die Sichtbarkeit des Frauensports zu erhöhen und die Gleichberechtigung voranzutreiben. Wie nehmt ihr das wahr?

Antje: Es ist absolut wichtig und richtig, diese Schritte zu gehen, die der DHB eingeleitet hat. Die Qualität des Frauenhandballs hat sich deutlich erhöht, deshalb ist diese Anerkennung total verdient, aber leider noch nicht selbstverständlich. Umso dankbarer sind wir dafür. Die Kampagne „Hands up for more“ ist eine Kampagne über den Handball hinaus, die nicht nur auf unseren Sport zielt, sondern die Chance eröffnet, eine Breite für das Thema Gleichberechtigung insgesamt zu schaffen. Eine erfolgreiche WM wird uns auf diesem Weg helfen, aber es darf nicht mit der WM vorbei sein. Sie ist ein toller erster Schritt, aber es muss und wird auf diesem Themenfeld noch viel passieren. 

Eine Heim-WM ist ein großartiges Erlebnis, Olympische Heim-Spiele wären die Krönung. Wie steht ihr zu den Plänen des DOSB, sich für den Zeitraum 2036 bis 2044 zu bewerben? Nieke, du könntest sogar noch als aktive Spielerin daran teilnehmen.

Nieke: Ich kenne Olympische Spiele nur aus Erzählungen. Es ist das größte Event, das wir als Sportlerinnen und Sportler erleben können, und das im eigenen Land zu haben, wäre eine unbezahlbare Erfahrung. Für den Sport in Deutschland würde eine erfolgreiche Bewerbung einen Boom auslösen, der allen helfen würde. Und wer weiß, wie es dann um den deutschen Frauenhandball steht, vielleicht sind wir dann so weit, um Gold mitspielen zu können. 

Antje, ohne despektierlich zu sein: Für dich kämen die Heimspiele als aktive Sportlerin etwas zu spät…

Antje: …aber ich bin selbstverständlich trotzdem total dafür. Ich durfte in Paris als Mitglied des Team D erleben, was die Ausrichtung Olympischer Spiele mit einem Land macht. Olympia verbindet Menschen, die sonst nichts miteinander zu tun hätten. Und wenn man weiß, was in Gastgeberländern für den Sport möglich gemacht wird, dann kann man das dem deutschen Sport wirklich nur wünschen. Ich kann die Bewerbung uneingeschränkt befürworten.