Vor der Davis-Cup-Endrunde in Bologna spricht der deutsche Tennisprofi Jan-Lennard Struff über das Viertelfinale gegen Argentinien, seine Gedanken zum näher rückenden Karriereende und die deutsche Bewerbung um die Ausrichtung Olympischer Spiele.
Eine anstrengende Saison in den Knochen
Wer im deutschen Herrentennis klare, ehrliche Worte möchte, muss mit Jan-Lennard Struff sprechen. Als der 35-Jährige am Sonntagnachmittag, kurz nach der Ankunft in Italien, zum Gespräch ans Telefon geht, ist die besondere Motivation, die der Davis Cup aus ihm herauskitzelt, auch über die Entfernung zu spüren. „Wir müssen nicht darum herumreden, dass die Saison mega lang und anstrengend war“, sagt er mit Blick auf die seit Monaten andauernden Diskussionen um die ausufernde Dauerbelastung im Profitennis, „aber wir spielen hier für unser Land, das ist eine große Ehre. Wir haben noch Energie für die Woche!“
In Bologna treten in dieser Woche die besten acht Herrenteams der Saison 2025 zur Endrunde des prestigeträchtigen Teamwettbewerbs an. In der rund 11.000 Zuschauer fassenden Unipol Arena versucht Italien, zum dritten Mal in Serie, aber zum ersten Mal seit Einführung des neuen Spielformats 2019 in der Heimat, den Titel zu holen. Allerdings müssen die Gastgeber im Viertelfinale am Mittwoch gegen Österreich ohne ihre beiden Topspieler Jannik Sinner und Lorenzo Musetti auskommen. Der Weltranglistenzweite Sinner (24), am Sonntagabend bei den ATP-Finals in Turin strahlender Sieger, hatte seine Teilnahme schon frühzeitig abgesagt und damit für reichlich Verdruss gesorgt. Musetti (23/Nr. 8 der Weltrangliste) fehlt verletzt.
Deutschland dagegen kann am Donnerstag (17 Uhr) zu seinem Viertelfinalduell mit Argentinien, das in Kooperation mit dem Tennis Channel live und kostenfrei auf tennis.de, der Website des Deutschen Tennis-Bundes, gestreamt wird, in Bestbesetzung antreten. Ob auch in Bestform, ist allerdings fraglich, denn der Weltranglistendritte Alexander Zverev (28/Hamburg) kämpft seit Monaten mehr mit dem eigenen Körper als gegen seine Kontrahenten. Nach seinem Vorrundenaus in Turin sagte er am vergangenen Freitag, er trete im Davis Cup an, „weil meine Mannschaftskameraden mich darum gebeten haben.“ Jan-Lennard Struff wertet diese Aussage als Zeichen für den funktionierenden Teamgeist. „Wir verstehen uns alle sehr gut und freuen uns sehr darauf, in dieser Woche noch einmal alles aus uns herauszuholen“, sagt er.
Das Team ist über die Jahre sehr zusammengewachsen
Die On-Off-Beziehung zwischen Zverev und dem Davis Cup währt seit Jahren. Der Statik im Team tue das jedoch keinerlei Abbruch, hat Jan-Lennard Struff erkannt. „Unsere Mannschaft mit unserem Teamchef Michael Kohlmann und dem Team drumherum ist über die Jahre sehr zusammengewachsen. Wir freuen uns, dass Sascha dabei ist“, sagt er. Und weil das so ist, sieht der Weltranglisten-84. auch Chancen, die Südamerikaner mit ihren starken Einzelspielern Francisco Cerundolo (27/Nr. 21) und Tomas Martin Etcheverry (26/Nr. 60) in zwei Einzeln und einem Doppel, zu dem für Deutschland die bewährte Kombination Kevin Krawietz (33/Coburg)/Tim Pütz (37/Frankfurt am Main) antreten wird, auszuschalten. „Argentinien ist ein dickes Brett, aber wir sind auch gefährlich“, sagt er. Im Halbfinale am Samstag würde der Sieger aus der Partie Spanien gegen Tschechien warten, während Italien oder Österreich am Freitag auf Frankreich oder Belgien treffen, die am Dienstag die Final-8-Endrunde eröffnen.
Einen Titelfavoriten kann Jan-Lennard Struff nicht ausmachen. „Am Ende einer so langen Saison ist es auch eine Frage, wer es am meisten will“, sagt er. Und zumindest er kann darauf eine eindeutige Antwort geben. Fast schon sein halbes Leben ist der Warsteiner als Profi unterwegs. Er ist stets beharrlich geblieben, auch wenn die Rückschläge mal härter waren als sein krachender erster Aufschlag. Als er im April 2024 seinen ersten Einzeltitel auf der ATP-Tour holte, freuten sich im Tenniszirkus alle mit dem sympathisch zurückhaltenden Vater zweier Söhne. Doch stellt man den 1,96 Meter großen Team-Deutschland-Athleten vor die Wahl, den Davis Cup oder ein weiteres ATP-Turnier zu gewinnen, zögert er keine Sekunde. „Da nehme ich den Davis Cup, ist doch klar. Für mich ist das einfach eine ganz besondere Sache.“
"Ich möchte so lange spielen, wie es mir Spaß bringt".
Dreimal konnten deutsche Tennisherren die in diesem Jahr zum 113. Mal ausgespielte Trophäe gewinnen, letztmals allerdings vor 32 Jahren. Und Jan-Lennard Struff verschließt keinesfalls die Augen davor, dass zumindest für ihn persönlich nicht mehr allzu viele Chancen kommen werden, zumal in den vergangenen beiden Spielzeiten auch bei ihm, der sich über viele Jahre als höchst professioneller Spitzensportler bewiesen hat, die körperlichen Einschränkungen wuchsen. „In meinem Alter denkt man natürlich schon mal darüber nach, was nach der aktiven Karriere kommen kann“, sagt er. Konkrete Pläne allerdings habe er noch keine. „Der Tennissport hat mir so viel gegeben. Ich werde dem Tennis sicherlich in irgendeiner Form erhalten bleiben, aber wie das aussehen wird, weiß ich noch nicht.“
Dieser schmale Grat, auf dem Tennisprofis bisweilen wandeln, ist auch Jan-Lennard Struff bewusst. Wer die Zeichen der Zeit nicht richtig zu deuten versteht, läuft Gefahr, zum Ende der Karriere hin seinem eigenen Anspruch nicht mehr gerecht zu werden. Werten möchte Struff, als Westfale eingefleischter Fan von Borussia Dortmund, das aber nicht. „Jeder hat seine eigene Philosophie, wie er mit dem Karriereende umgeht, und ich respektiere alle. Allerdings stelle ich es mir als nicht besonders erfüllend vor, wenn man nur noch abgeschossen wird. Ich möchte so lange spielen, wie es mir Spaß bringt und der Körper es mitmacht. Alles Weitere sehen wir, wenn es so weit ist“, sagt er.
Unfassbar gut: Olympische Spiele in Deutschland
Genug geredet also vom Karriereende, in dieser Woche will Jan-Lennard Struff unter Beweis stellen, wie sehr mit ihm weiter zu rechnen ist. Dass ihm als Einzelsportler Auftritte im Team für Deutschland besonders viel bedeuten, ist nicht nur im Davis Cup zu beobachten, wo er im Einzel eine Siegbilanz von 16:10 vorweisen kann. Auch bei den Olympischen Spielen in Paris war er im vergangenen Jahr extrem motiviert für das Team D an den Start gegangen – und dann umso trauriger darüber, dass er nach erfolgreichem Erstrundenmatch wegen anhaltender Hüftprobleme aus dem Einzelwettbewerb aussteigen musste. „Das dritte Mal bei Olympischen Spielen dabei zu sein war trotzdem besonders für mich“, blickt er zurück.
Vergleichbares in Deutschland erleben zu können, das wünscht er seinen Nachfolgern von Herzen. Die Bewerbung um die Ausrichtung Olympischer Spiele, die der DOSB aktuell anschiebt, unterstützt Jan-Lennard Struff deshalb vorbehaltlos. „Ich persönlich fände es unfassbar gut, wenn wir die Spiele nach Deutschland holen würden, am liebsten natürlich nach NRW. Für die Sportförderung wäre das extrem wichtig, aber auch andere Bereiche würden profitieren“, sagt er. Olympiabotschafter Struff, im besten Fall sogar als Davis-Cup-Sieger – vielleicht ist das ja eine Idee für die Karriere nach der Karriere…