
Während die deutschen Männer gegen Portugal auch ihr drittes K.-o.-Spiel im Shootout und damit erstmals World-Games-Gold gewinnen, müssen sich die Frauen der Emotionswucht Argentiniens beugen und mit Silber zufrieden sein.
Torhüter Moritz Ebert hielt den entscheidenden Wurf im Shoot-out
Auf der Tribüne tanzten die deutschen Kanupolo-Frauen, die zur Unterstützung angereist waren, in der Sonne, die große Abordnung aus dem DOSB-Funktionsteam schwenkte ihre Team-D-Fahnen – und Moritz Ebert versuchte zu realisieren, was ihm und seinen Jungs da gerade gelungen war. Den letzten Wurf der Portugiesen, den Francisco Santos in Richtung seines Tores geschleudert hatte, hatte der Torhüter der deutschen Beachhandballer entschärft, von seinem muskulösen Oberkörper war der Ball abgeprallt und in Richtung Fangnetz geflogen. Es war die entscheidende Parade in einem Finale, das noch ein letztes Mal eindrucksvoll unterstrich, warum sich Ebert und seine Mannschaft vollkommen zu Recht zum ersten Mal die Goldmedaille bei den World Games in Chengdu sichern konnten. 8:6 im Shoot-out hieß es nach zwei gegensätzlichen Halbzeiten gegen Portugal, und weil es das dritte K.-o.-Spiel in Serie war, das sie erst in der „dritten Halbzeit“ gewinnen konnten, musste über die Mentalität dieses Teams gesprochen werden.
„Es ist wirklich überragend, dass wir es immer wieder schaffen, zurückzukommen und die Ruhe zu bewahren. Wir bleiben immer locker, weil wir wissen, dass wir diese Stärke haben“, sagte der 24 Jahre alte Keeper aus Konstanz, der aktuell vereinslos ist und nach seinem Wirtschaftsstudium im Herbst einen Job in Zürich antritt. Und genau das war gegen die Portugiesen, gegen die es in der Gruppenphase noch eine Shoot-out-Niederlage gegeben hatte, zu beobachten. Mit 21:18 hatten die Iberer die erste Halbzeit gewonnen und dabei in Ricardo Castro einen Torhüter gehabt, der von der deutschen Angriffsreihe zum Helden geworfen wurde. Allerdings nur zum Helden für eine Halbzeit, denn nach der Fünfminuten-Pause kam ein anderes deutsches Team in den Sand zurück. Eines, das nun hinten besser zupackte, vorn besser zielte – und in Robin John einen weiteren Matchwinner hatte. Mit nur noch zwei Sekunden auf der Uhr traf der 34-Jährige vom TSV Anderten zum 19:18 und sicherte damit den Shoot-out.
Entwicklung des Teams begann vor zwei Jahren mit EM-Silber
Das Gefühl, in diesen mit dem Bewusstsein hineinzugehen, den Sieg festhalten zu können, beschrieb Moritz Ebert, als ihm die Goldmedaille um den Hals baumelte, als eine Art Vorfreude. „Wir mussten ja auch in der Vorrunde alle Spiele im Shoot-out entscheiden, da haben wir noch zwei von drei verloren. Aber nach den Siegen gegen Dänemark und Brasilien hatten die Jungs und ich natürlich viel Selbstvertrauen.“ Selbst als Severin Henrich (23/Longericher SC) den ersten Wurf verfehlte, sei niemand hektisch geworden. Zudem, das gab der Torhüter unumwunden zu, „gehört zum Shoot-out immer auch das Quäntchen Glück. Das hatten wir, aber ich denke, wir haben es uns auch erarbeitet.“
Mit Blick auf den Mitte Juli gewonnenen EM-Titel, mit dem das Ticket für den Saisonhöhepunkt in China überhaupt erst gelöst werden konnte, sprach Ebert von einem verrückten Sommer. „Für mich persönlich ist das hier der größte Erfolg meiner Karriere. Und das Gute ist, dass ich mit meinen 24 Jahren in diesem Team einer der Älteren bin. Wir haben also hoffentlich für einige Jahre eine Mannschaft, die gemeinsam wachsen und sich entwickeln kann“, sagte er. 2022, bei der bislang letzten Ausgabe der Weltspiele der nicht-olympischen Sportarten, waren die deutschen Männer nicht einmal qualifiziert gewesen. „Nun haben wir Gold. Das ist schon eine unfassbare Entwicklung, die vor zwei Jahren mit EM-Silber begonnen hat“, sagte er.
Gold für Argentinien auch im Singen der Nationalhymne
Eine Entwicklung, die auch Bundestrainer Marten Franke würdigte. „Es war ein sehr schwieriges Spiel, wir haben in der ersten Hälfte nicht gut ins Spiel gefunden. Deshalb sind wir überglücklich, dass die Jungs mit unglaublicher mentaler Stärke zurückgekommen sind. Dass wir in allen Spielen in den Shoot-out mussten, hat vielleicht dazu geführt, dass wir im Finale genug Übung hatten, um ihn erneut zu gewinnen”, sagte er.
Am Dienstagabend hätten die deutschen Männer gern einen Doppelsieg mit dem Frauenteam des DHB gefeiert, doch da wollte Argentinien nicht mitspielen. In einem ebenso spannenden Finale siegten die Südamerikanerinnen im Shoot-out mit 2:1 (14:20, 22:12, 7:2) und nahmen damit Revanche für die 0:2-Finalniederlage bei der WM im vergangenen Jahr in Pingtau (China). Schon beim Absingen der Nationalhymne hatten sie sich die Goldmedaille verdient. Und nach einer ersten Hälfte, in der Deutschland um eine in der Abwehr kräftig zupackende Lucie Kretzschmar und eine im Angriff treffsichere Isabel Kattner (24/VfL Waiblingen) vollkommen souverän ein 20:14 herausgeworfen hatte, wurde deutlich, dass die Emotionalität, mit der sich die Argentinierinnen zu pushen verstehen, zum Gamechanger taugt. Plötzlich überrollten sie das als Titelverteidiger angetretene deutsche Team, zogen über 6:0 und 14:6 auf 22:12 davon und waren auch im Shoot-out nicht mehr zu stoppen. 2:7 lautete das Ergebnis des Auswerfens, an dessen Ende wieder argentinische Triumphgesänge durch die Arena am Xinglong Lake tönten.
Argentinien wollte den Sieg im Shoot-out mehr
Torhüterin Nele Kurzke (35/HC Leipzig), die in der zweiten Halbzeit auch nicht mehr viele Körperteile zwischen den Ball und ihren Kasten bekam, konnte sich den Leistungseinbruch nicht erklären. „Es war, als ob sich ein Schalter umgelegt hat. Argentinien hat gar nicht mal besser gespielt, aber bei uns wollte kein Ball mehr reingehen, wir haben leider die Kontrolle verloren und konnten das nicht mehr umkehren”, sagte sie. Bundestrainer Alexander Novakovic hatte ebenfalls das Gefühl, „dass wir Argentinien selbst wieder in das Spiel zurückgeholt haben. Im Shoot-out wollten sie es mehr als wir, das müssen wir anerkennen. Dennoch wird am Ende der Stolz über Silber überwiegen”, sagte er.
„Man muss neidlos anerkennen, dass Argentinien das heute sehr gut gespielt hat“, sagte Lucie Kretzschmar (25), die für die Flames Bensheim in der Bundesliga Hallenhandball spielt. Der Tochter von Handball-Legende Stefan Kretzschmar war die Enttäuschung auch nach der Siegerehrung noch anzusehen. „Das mit dem Stolz auf die Medaille wird noch etwas dauern“, sagte sie, „aber insgesamt war es eine sehr starke Performance unseres Teams, mit dem wir mit etwas Abstand sehr zufrieden sein werden.“ Dem ist nicht zu widersprechen: Die zweite Halbzeit gegen Argentinien war die erste im Turnier, die der EM-Dritte in Chengdu verlor. „Ist natürlich immer etwas blöd, das letzte Spiel zu verlieren“, sagte Lucie Kretzschmar, „dennoch werden wir heute Abend mit den Jungs feiern.“ Und mit Blick auf die Heim-World-Games 2029 in Karlsruhe war auch die Laune schon wieder besser. „Ich freue mich sehr auf den Prozess. In vier Jahren werden wir wieder neu angreifen!”