World Games

Mit 1000 Prozent Leidenschaft: Zwei Leben für den Billardsport

Foto: Assja Grünberg/Deutsche Billard Union

Pia und Joshua Filler sind das einzige Ehepaar, das bei den World Games für das Team D antritt. Die beiden haben ihr Leben dem Sport gewidmet und träumen davon, in Chengdu jeder eine Medaille im 10-Ball-Wettbewerb zu gewinnen.

7 Minuten Lesezeit veröffentlicht am 11. August 2025

Alle fünf deutschen Athlet*innen stehen im Viertelfinale

Warum er zu den besten 10-Ball-Spielern der Billardwelt zählt, das lässt Joshua Filler am Montagvormittag in der Civil Aviation Flight University in Chengdu in seinem zweiten Gruppenspiel bei den World Games gegen Chia-Chen Hsieh aus Taiwan aufblitzen. Ein Punkt fehlt dem 27-Jährigen noch zum Sieg, als ihm beim vorletzten Ball ein Stoß, den er normalerweise mit verbundenen Augen versenkt, misslingt. Sein Gegner übernimmt, schafft den Anschluss zum 5:8. Joshua Filler schüttelt kurz den Kopf, zieht die Augenbrauen nach oben, was bei ihm schon als Gefühlsaufwallung durchgeht. Dann stößt er zur nächsten Runde an und spielt sie so entspannt durch, wie andere morgens mit ihrem Hund Gassi gehen. 9:5, Einzug ins Viertelfinale perfekt, Job erledigt. 

„Der Joshua ist ein Mentalitätsmonster. Er kann sich in einem Moment furchtbar ärgern und hat das im nächsten Augenblick schon abgehakt. So bleibt er immer fokussiert und zieht sein Ding durch. Das ist sehr beeindruckend“, sagt die Frau, die es am besten wissen muss. Pia Filler sitzt an diesem Freitagvormittag im Athletenbereich und scheint genauso entspannt wie ihr Mann. „Sehr stark, Schatzi“, ruft sie nach gewonnenen Punkten, ein kurzer Applaus, das war es dann auch schon an emotionalen Ausbrüchen. „Ich war früher viel aufgeregter, wenn ich ihm zugeschaut habe. Jetzt ist das anders, ich weiß ja, dass er der beste Spieler hier im Feld ist“, sagt sie. Und auch das kann sie beurteilen wie kaum jemand anders, denn Pia Filler ist nicht nur „Spielerfrau“, sondern selbst eine Weltklasse-10-Ball-Spielerin. Auch sie steht in Chengdu im Viertelfinale, das alle fünf gestarteten Athlet*innen der Deutschen Billard-Union (DBU) erreichten. 

Die beiden heirateten 2017; sie war 19, er 20 Jahre alt

Die Geschichte des Ehepaars Filler ist eine sehr besondere, weil das Lebensmodell, das die beiden für sich entwickelt haben, ein so spezielles ist, dass man nicht anders kann, als großen Respekt für ihre Beharrlichkeit zu empfinden. Pia, die acht Monate jünger ist als Joshua, stammt aus Stolberg nahe Aachen, er wuchs in Bönen nahe Dortmund auf. Kennengelernt haben sie sich 2009 in einem Trainingslager der Billard-Jugend in Ungarn, zwei Jahre später gewannen sie in Bad Wildungen auf einer Deutschen Jugendmeisterschaft ihre ersten Titel. „Wir sind dann öfter gemeinsam zu Turnieren gefahren. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft, bis wir uns irgendwann ineinander verliebt haben“, blickt Pia zurück. Am 19. Dezember 2017 heirateten die beiden, da war sie 19 und er 20. „Wir waren uns einfach sicher, dass wir zusammengehören.“ 

Fast acht Jahre danach hat sich an dieser Wahrnehmung nichts verändert. Im Gegenteil, die beiden verbringen so viel Zeit wie möglich miteinander, was angesichts der Turnierplanung nicht immer einfach ist. „Anfangs war das einfacher, weil ich noch nicht auf dem Level gespielt habe, das mich zu Turnieren in aller Welt gebracht hätte“, sagt Pia. Als dann aber Corona die Welt lahmlegte, begann sie, sieben bis acht Stunden täglich mit ihrem Ehemann und dem gemeinsamen Förderer Günter Geisen zu trainieren. „In dieser Zeit hat sie enorme Fortschritte gemacht. Sie hat sich alles erarbeitet und spielt mittlerweile auf einem Niveau, das sie sich früher niemals zugetraut hätte“, sagt Joshua. 

Als Kind stand Joshua zum Billardspielen auf einer Kiste

Für ihn hatte schon im Grundschulalter festgestanden, dass er Billardprofi werden wollte. Der Großvater hatte den Sport ausgeübt, irgendwann drängte der Enkel darauf, mal mitgenommen zu werden. Weil er zu klein war, lehnte der Großvater zunächst ab, aber die Mutter bestand darauf, dass Joshua nicht ausgeschlossen werden solle, also stellten sie ihn anfangs auf eine Kiste, damit er über die Kante des Tisches schauen konnte. Mit 18 gewann er die China Open, ein hochrangiges Weltserienturnier – und entschied, die Schule nach der zwölften Klasse abzubrechen und sich auf seinen Sport zu konzentrieren. Und Pia? Unterstützte ihn, wo es ging. Gemeinsam stürzten sie sich, als sie ihr Fachabitur in Wirtschaft und Verwaltung in der Tasche hatte, in die Selbstständigkeit. Sie machte die gesamte Logistik mit Reiseplanung, Turnierkalender, Buchhaltung. Er fokussierte sich auf Billard. So konnten sie immer zusammen sein. 

„Wir waren immer dafür bekannt, dass wir alles gemeinsam machen. Wir brauchen einander einfach, das ist nichts Gezwungenes, sondern vollkommen natürlich. Manche Pärchen können nicht miteinander arbeiten. Wir lieben es und tun es gern für den anderen“, sagt Pia. Charakterlich seien sie in vielen Dingen ähnlich, „wir haben viel Energie, sind immer geradeheraus und wollen am liebsten immer Billard spielen. Unsere Leidenschaft für den Sport ist auf demselben Level, wir widmen unser Leben zu 1000 Prozent dem Billard – und wir lieben es!“ Das führt so weit, dass sie selbst an einem freien Nachmittag, den sie am Montag in Chengdu hatten, in den nächsten Billardclub fuhren, um eine Runde zu spielen. Ganz entspannt, ohne Hintergedanken oder Plan. „Einfach, um den Arm locker zu halten“, sagt Pia. 

Joshua imponiert Pias strukturelle Disziplin

In Bad Honnef, wo die beiden Bundesliga-Spitzenkräfte des BC Oberhausen leben, haben sie einen Trainingsraum angemietet. Vier Tische mit unterschiedlichem Tuch stehen dort. Ihre Praxiseinheiten erledigen sie meist getrennt, die Analysen machen sie gemeinsam. Pia sagt, sie sei immer wieder überrascht davon, wie viel Joshua über ihren Sport wisse, aber auch über mentale Bewältigungsstrategien. „Er ist ein krasser Autodidakt, und seine Inselbegabung ist die Schnelligkeit in der Auffassung. Wo ich eine Minute benötige, um einen Plan zu haben, wie ich eine Partie angehen muss, braucht er ein paar Sekunden“, sagt sie. Ihm dagegen imponiert Pias strukturelle Disziplin. „Ich bin mehr so der Künstler, lebe in den Tag hinein. Sie ist sehr talentiert darin, mit höchster Disziplin einen Plan zu 100 Prozent durchzuziehen“, sagt er. 

Beide bezeichnen sich als „klassische Einzelsportler, die im Wettkampf nicht gern auf andere angewiesen sind.” Wenn sie bei Mixedwettbewerben gemeinsam im Doppel antreten, könnten sie dies aber genießen. Auch wenn Pia zugibt, dass der Druck, an der Seite ihres Mannes performen zu wollen, manches Mal immens sei. „Er ist ein Perfektionist, ein Ausnahmesportler, dessen Hirn anders funktioniert als bei anderen. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen und es zu genießen”, sagt sie. 

Sie steht gern früh auf, er schläft lieber bis 10.30 Uhr

Auf gemeinsamen Reisen fiele ihnen nie ein, getrennte Zimmer zu buchen, um sich noch intensiver auf den Sport konzentrieren zu können, wie es andere Paare machen. „Uns wurde oft gesagt, dass wir uns in der Beziehung Freiheiten lassen sollten, weil es sonst zu viel Stress geben könnte. Wir lassen uns diese Freiheiten auch, aber keiner von uns nutzt oder braucht sie“, sagt Pia. Joshua ist ein Mensch, der Alleinsein nicht verträgt. Wenn die beiden getrennt zu Turnieren antreten, nimmt er gern einen Freund mit, um Gesellschaft zu haben. „Ich habe das Glück, dass Pia und ich dieselbe Leidenschaft teilen und wir uns deshalb sehr gut in den anderen hineinversetzen können“, sagt er. Wenn sie wirklich mal keine Lust auf Billard haben, spielen sie Badminton oder Tischtennis, sie zocken an der Playstation oder gehen mal zu Hause am Rhein spazieren. 

Die beiden sind, das spürt man schon bei der ersten Begegnung, für den jeweils anderen wie der Bierdeckel, den man unter ein wackelndes Tischbein steckt. Trotzdem gibt es natürlich auch Dinge, die sie nicht teilen. Pia ist Frühaufsteherin, geht morgens gern ins Gym und muss, wenn sie nach Hause kommt, ihren Mann, der zum Einschlafen oft mehrere Stunden braucht, nicht selten um 10.30 Uhr wecken. Sie versucht sich leistungssportgerecht zu ernähren, während er Baguettebrot mit Nutella, Pizza und McDonald’s für ausgewogene Ernährung hält und chinesisches Essen nicht anrührt. Er schaut abends gern Filme oder Serien, sie hasst es, auf der Couch sitzen zu müssen und sich nicht bewegen zu können. 

Eigene Kinder passen nicht zu ihrem Lebensziel

Dem anderen dessen Verhalten vorzuhalten, käme ihnen aber nie in den Sinn. „Als Ehefrau mache ich mir natürlich Sorgen, dass seine Ernährung irgendwann zu Problemen führt“, sagt Pia, „aber wenn er deshalb früher stirbt, aber bis dahin jeden Tag glücklich war, dann hat es sich doch gelohnt für ihn.“ Leben und leben lassen eben; eine Einstellung, mit der man in Beziehungen ebenso wie im Berufsleben weit kommen kann. Und genau das haben die Fillers vor. „Unser Plan ist, mit spätestens 45 ausgesorgt zu haben und dann nur noch das zu tun, worauf wir Lust haben“, sagt sie. Wobei sie das zu großen Teilen jetzt auch schon tun, die vielen Reisen nach Asien und in den arabischen Raum, wo die meisten und preisgeldstärksten Turniere stattfinden, einmal abgezogen. 

Zu diesem Lebensziel passen eigene Kinder nicht wirklich, obwohl sie sich beide als Familienmenschen bezeichnen und ihre wenige Freizeit gern im Kreise ihrer Familien verbringen. So ist aktuell der Plan, kinderlos zu bleiben und sich weiter auf das Gedeihen des eigenen Geschäfts zu konzentrieren. In Eitorf nahe Bonn bauen sie ein Haus, in das sie ihren Trainingsraum integrieren wollen. In den sozialen Medien lassen die beiden als „Killerfillers” ihre mehreren Zehntausend Follower an ihrem Leben teilhaben. Ein Spitzname, den Joshua schon zu Jugendzeiten verpasst bekam, weil er am Tisch eiskalt wie ein Auftragsmörder agiert, und den sie zu ihrer Marke gemacht haben. Dass er zu ihrem abseits des Sports sehr höflichen, sympathischen Auftreten gar nicht passt? Egal. Bei ihnen dreht sich ja doch alles um den Sport. 

Er gönnt ihr die Medaille mehr als sich selbst

Und so träumen sie in diesen Tagen davon, bei den World Games in Chengdu beide aufs Podest zu kommen. Joshua ist als amtierender Weltmeister und Titelverteidiger bei seinen dritten Weltspielen der nicht-olympischen Sportarten einer der Goldfavoriten, Pia hat sich auf ein Niveau hochgearbeitet, das auch ihr Medaillenchancen eröffnet. Ihr Mann, sagt sie, würde ihr eine Goldmedaille fast mehr gönnen als sich selbst. Er sitzt daneben und nickt. „Ich würde mich mehr für sie freuen als für mich, das stimmt. Aber am schönsten wäre natürlich, wenn wir beide eine Medaille holen würden.” Und wenn nicht, dann werden sie einander oder einer der oder dem anderen Trost spenden, sich kurz schütteln und weitermachen. In guten und in schlechten Zeiten, bis dass der Tod sie scheidet.